Urteil: AT-Vergütung muss über dem höchsten Tarifentgelt liegen

Laut IGBCE-Manteltarifvertrag in der Chemischen Industrie (MTV Chemie) muss ein AT-Arbeitsverhältnis u.a. folgende Kriterien erfüllen:

  • Herausnahme aus dem Tarifvertrag per Einzelvertrag
  • Aufgabengebiet stellt höhere Anforderungen als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe
  • Entgelt und die allgemeinen Arbeitsbedingungen überschreiten im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbestimmungen

Der Tarifvertrag regelt, welche Mindestbedingungen eingehalten werden müssen, um ein außertarifliches Arbeitsverhältnis zu begründen. Genau deshalb sind Tarifverträge und deren Entwicklung auch für AT-Beschäftigte wichtig. 

Welche konkreten Mindestbestimmungen sich für ein AT-Gehalt in der Chemischen Industrie aus dem Tarifvertrag ergeben und welche AT-Entgeltbestandteile zum Vergleich herangezogen werden können, war bislang noch in Teilen unklar. 

Ein IGBCE-Mitglied wollte diese Frage für sich klären und hat deshalb gemeinsam mit seiner Gewerkschaft ein Verfahren beim Arbeitsgericht geführt – mit Erfolg! Durch den kostenlosen Rechtsschutz für Gewerkschaftsmitglieder konnte er das ohne finanzielles Risiko tun. In zweiter Instanz, also beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, wurde ihm auf Grundlage des Tarifvertrags eine Ausgleichszahlung durch das tarifgebundene Chemieunternehmen aus Ludwigshafen zugesprochen.  

Das Urteil des LAG ist jetzt rechtskräftig und stellt fest: 

AT-Beschäftigte haben einen „Anspruch auf eine Vergütung, die den Tarifabstand […] wahrt“. 

Einfach übersetzt: Die höchste tarifliche Entgeltgruppe E13 aus dem IGBCE-Tarifvertrag ist der doppelte Boden, auf den sich auch AT-Beschäftigte im Zweifel verlassen können. 

Sinkt die AT-Gesamtvergütung unter den aufs Jahr berechneten Wert der Leistungen der höchsten Entgeltgruppe der o.g. Tarifverträge und ist der AT-Status individualvertraglich zugesichert, entsteht ein Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages bis zu diesem Wert. 

Mit Urteil vom 27. 01.2022 wurde damit die Ansicht der IGBCE auch in der Rechtsprechung durch das LAG Rheinland-Pfalz (2 Sa 114/21) bestätigt. 

Laut LAG-Urteil können AT-Beschäftigte erst einen Vergleich zur tariflichen Entgeltgruppe E13 vornehmen, wenn alle Vergütungsbestandteile für das jeweilige Jahr bekannt sind. Das heißt, erst mit der Bonuszahlung für das Bezugsjahr kann ein Vergleich für das Gesamtjahr vorgenommen werden. Dabei sind auf beiden Seiten alle Bestandteile mit Entgeltcharakter, die für das jeweilige Jahr gezahlt wurden, zu berücksichtigen. Ein prozentuales Abstandsgebot regelt der Tarifvertrag nicht, es kann aber per Betriebsvereinbarung konkretisiert werden. Ein besonderes Augenmerk sollte man auf die vertraglichen Ausschlussfristen legen, die nach einer bestimmten Zeit zum Verlust des Anspruchs auf eine Ausgleichszahlung führen. 

Ein Automatismus aus dem Verfahren für andere AT-Beschäftigte folgt daraus zwar noch nicht, da das Urteil erst einmal für den Einzelfall gilt. Richtungsweisend ist das Urteil trotzdem.  

Eine Sache wird auf jeden Fall deutlich: Eine Mitgliedschaft in der IGBCE lohnt sich auch im AT-Bereich.  

Die Gewerkschaft sorgt mit ihren Tarifverhandlungen für die Absicherung der AT-Vergütung über die E13 und setzt diese auch aktiv für ihre Mitglieder durch.  

Für den Vergleich sind vereinfacht folgende Bestandteile heranzuziehen: 

BEISPIEL | Vergleich der tariflichen Entgeltgruppe E13 T inkl. aller tariflichen Bestandteile mit der AT-Vergütung für das Vergleichsjahr 2023 im Tarifbezirk Rheinland-Pfalz 

Tarifentgelt E13 T p.a. 

12 x tarifliches Monatsentgelt 

€ 80.184,00 

Jahresleistung 

1 x tarifliches Monatsentgelt 

+ € 6.682,00  

Zukunftsbetrag 

0,23 x tarifliches Monatsentgelt 

+ € 1.536,86 

Urlaubsgeld 

€ 40 pro Urlaubstag 

+ € 1.200,00 

Tarifliche Altersvorsorge 

PKE + Chemietarifförderung 

+ € 613,55  

Demografiebetrag 

fix 

+ € 750,00 

Inflationsgeld 

bei Fälligkeit im Jahr 

+ € 1.500,00 

= tarifliches Jahresentgelt E13 T 

 

= € 92.466,41 

 

Mogelpackung AT – Chemieunternehmen nutzen Intransparenz, um Tarifverträge zu umgehen 

Nach der Entscheidung zu den tariflichen Mindestbestimmungen für AT-Vergütungen in der Chemischen Industrie werden einige Kolleg*innen ein großes Fragezeichen im Kopf haben.  

Viele Beschäftigte in den sogenannten AT-Entgeltsystemen in Chemieunternehmen sind nämlich gar keine AT-Beschäftigten im Sinne des MTV Chemie. Sie fallen unter den Manteltarifvertrag für akademisch gebildete Angestellte (MTV AKAD) und sind damit Tarifbeschäftigte. Das ist erstmal gut, weil der Tarifvertrag Ansprüche wie 30 Tage Urlaub, Altersfreizeiten oder die 37,5 Stunden-Woche regelt. Nach Auslegung einiger Arbeitgeber fällt für diese Tarifbeschäftigten aber die E13 als doppelter Boden weg. Stattdessen sollen die sogenannten Mindestjahresbezüge des „Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie e.V. (VAA)“ einspringen. Diese liegen weit unterhalb der E13 und gelten auch erst ab dem zweiten Jahr der Beschäftigung. Für Angestellte mit Diplom oder Masterabschluss liegen die Mindestjahresbezüge für 2023 bei € 71.250, für Angestellte mit Promotion bei € 82.825. Diese Auslegung ist erst einmal auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Betriebsrat kann diese Konkurrenz in der Tarifvertragslandschaft nicht ohne Weiteres umgehen. 

Die Mehrheit der Betroffenen weiß allerdings gar nichts von ihrem tariflichen Status. Einige Chemieunternehmen sind an dieser Stelle maximal intransparent und nutzen die unterschiedlichen tariflichen Regelungen einseitig zu ihren Gunsten. Die Betroffenen schauen dabei unter Umständen in die Röhre, sie verlieren bei der aktuellen Praxis vieler Unternehmen die Sicherheit und die Leistungen aus dem Tarifbereich, ohne dabei eine adäquate Kompensation durch eine höhere Vergütung zu bekommen. 

Zusammengefasst: Viele AT-Entgeltsysteme in Chemieunternehmen decken zwei Beschäftigtengruppen mit unterschiedlichen tariflichen Mindestbestimmungen ab: AT-Beschäftigte nach MTV Chemie mit der E13 aus dem IGBCE-Tarifvertrag als Untergrenze und Tarifbeschäftigte nach MTV AKAD mit den Mindestjahresbezügen des VAA als Untergrenze. Unternehmen sind bei der Unterscheidung häufig intransparent. 

Angenommen diese Praxis wäre tarifkonform (was bisher schlichtweg ungeklärt ist): Unternehmen können nicht willkürlich über die Anwendung von Tarifverträgen entscheiden.  

AT-Beschäftigte genießen nach aktueller Rechtsprechung den oben beschriebenen Schutz zur Mindestvergütung über der E13.  

Tarifbeschäftigte nach dem MTV AKAD sind aus Sicht der IGBCE in das tarifliche Entgeltsystem einzugruppieren; zumindest bis sie die Bedingungen für ein echtes AT-Arbeitsverhältnis erfüllen. Bis dahin haben sie grundsätzlich auch einen Anspruch auf tarifvertragliche Leistungen, wie Jahresleistung (Weihnachtsgeld), Urlaubsgeld oder das Zukunftskonto. 

Eine Beratung zum tarifvertraglichen Status bei der IGBCE ist daher ratsam. 

Die IGBCE hat sich bereits zum Ziel gesetzt und arbeitet daran, die Unklarheiten in diesem Bereich tarifvertraglich anzugehen. Dazu braucht es vor allem die Unterstützung der Betroffenen als Mitglied in der Gewerkschaft, weil diese auch die Tarifpolitik bestimmen. 

Beratungen zur AT-Vergütung oder zum MTV AKAD sind für Mitglieder der IGBCE kostenlos und können über den jeweiligen IGBCE-Bezirk vereinbart werden. 

Finde Ansprechpartner aus deinen IG-BCE-Bezirk (igbce.de) 

Mitglied werden kannst Du hier: https://igbce.de/igbce/werde-mitglied/