Gewerkschaft gibt's sogar bei Google
Die Vorbereitungstreffen erfolgten heimlich. Mal sahen sie sich auf dem Firmengelände in den Mittagspausen, später, während der Corona-Pandemie, schalteten sie sich per Video zusammen, berichten die Alphabet-Mitarbeiter*innen. Die Vorgesetzten sollten von den Plänen nichts mitbekommen, denn Mitbestimmungsambitionen waren – und sind – im Silicon Valley nicht gern gesehen. Mehr als ein Jahr lang suchten die Initiator*innen nach Mitstreiter*innen, berieten sich mit Jurist*innen, berechneten Budgets. Anfang 2021 war es so weit: Die Alphabet Workers Union (AWU) wurde offiziell ins Leben gerufen. (Quelle: New York Times)
Warum eine Gewerkschaft?
Google gilt doch als angesehener Arbeitgeber. Wer dort landet, hat es geschafft, denken viele. Das Unternehmen zahlt hohe Gehälter, ist Branchenpionier, verspricht den Beschäftigten modernstes Arbeiten, einen trendigen Lifestyle und einen ganzen Wust an Boni on top. Für Google zu arbeiten ist für viele ein Traum. Wozu also eine Gewerkschaft?
Den Gründern um den langjährigen Software-Entwickler Chewy Shaw ging es in erster Linie nicht um mehr Geld oder bessere Arbeitsbedingungen. Sondern darum, „Böses“ zu verhindern und zum Google-Motto „don’t be evil“ zurückzukehren: „Viel zu lange wurden Tausende von uns bei Google, aber auch beim Mutterkonzern Alphabet mit ihren Problemen am Arbeitsplatz im Stich gelassen“, schreibt Shaw, stellvertretender Vorsitzender der AWU, in der New York Times.
Die Mitarbeiter*innen wollten Einfluss nehmen auf die Entscheidungen der Spitze. Sie wollten, dass der Konzern nach den Idealen der Beschäftigten handelt und ihre Werte respektiert. Die Technologien, die bei Alphabet entwickelt werden, sollen laut AWU für gute Zwecke eingesetzt werden. „Unsere Chefs haben mit repressiven Regierungen auf der ganzen Welt zusammengearbeitet. Sie haben eine Technologie für künstliche Intelligenz entwickelt, die vom Verteidigungsministerium genutzt wird, und profitieren von Werbeeinnahmen rechter Gruppen“, so Shaw.
Die Gründung der Arbeitnehmervertretung gilt als historische Zäsur im gewerkschaftsfeindlichen Silicon Valley. „Jedes Mal, wenn sich Beschäftigte organisieren, um Veränderungen zu fordern, machen die Führungskräfte bloß symbolische Versprechen und tun nur das absolute Minimum in der Hoffnung, die Beschäftigten zu beschwichtigen“, erklärt der AWU-Mitgründer.
Schon in den Vorjahren hatten Beschäftigte immer wieder Proteste gestartet. Maßgeblich für den Groll der Belegschaft waren vor allem drei Fälle: Erstens empörte sich die Belegschaft darüber, dass der Schöpfer des Betriebssystems Android eine Abfindung von 90 Millionen Dollar kassierte, nachdem er offenbar wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung den Google-Konzern verlassen hatte. Zweitens protestierten die Mitarbeiter*innen gegen die Entlassung einer Forscherin/Entwicklerin, der zufolge Googles Algorithmen diskriminierend seien. Und schließlich bewegten Proteste das Unternehmen dazu, sich aus dem Projekt „Maven“ zurückzuziehen, das Satellitenfotos des US-Militärs mit künstlicher Intelligenz hatte auswerten sollen.
Umgang mit Kritik
Protest war immer risikobehaftet. Google geriet immer wieder in die Schlagzeilen für den Umgang mit kritischen Mitarbeitenden und hat laut National Labor Relations Board (NLRB, eine unabhängige Bundesbehörde in den USA zum Schutz von Arbeitnehmerrechten) zum Beispiel gegen das amerikanische Arbeitsrecht verstoßen, als es 2020 mit Einschüchterungen und Kündigungen arbeitete, um Aktivismus im Keim zu ersticken.
Gewerkschaften sind in den USA auf Unternehmensebene organisiert. Die AWU vertritt nicht nur Google- und Alphabetmitarbeiter*innen, sondern auch Beschäftigte zuarbeitender Unternehmen. Als so genannte Minderheitsgewerkschaft kann sie keine Tarifverträge aushandeln und somit nicht über Löhne, Urlaub, Arbeitszeiten und Co. mitbestimmen. Aber sie kann Protest organisieren und öffentlichen Druck aufbauen.
Mit einzelnen Beschwerden versucht die AWU, die Arbeitssituation an verschiedenen Standorten zu verbessern. Das wirkte sich auch auf Mitarbeiter*innen aus, die nicht bei Google direkt, sondern bei einem Subunternehmer angestellt sind. Anfang 2023 hat die AWU es zum ersten Mal geschafft, Lohnerhöhungen für gering bezahlte Beschäftigte durchzusetzen. Tausende Mitarbeiter*innen, die im Auftrag Googles die Suchalgorithmen trainieren und optimieren, bekommen dadurch bis zu 45 Prozent mehr Lohn. (Quelle: Forbes)
Don‘t be evil – weltweit
Nachdem die Google-Beschäftigten in den USA ihre Gewerkschaft gegründet hatten, haben sich Google-Beschäftigte auch in Deutschland und international organisiert (Quelle: Der Standard). Doch seit ihrer Gründung wird den Gewerkschafter*innen der AWU das Leben nicht leicht gemacht. So hat Google eine Anti-Gewerkschafts-Strategie ersonnen, um Mitarbeiter*innen in den USA von Ende 2018 bis 2020 „in positiver Form“ davon zu überzeugen, „dass Gewerkschaften Scheiße sind“. Das Zitat soll von Michael Pfyl, ehemaliger Director of Employment Law bei Google, kommen und Dokumenten entnommen sein, die im Zuge einer Verhandlung am NLRB ans Licht gekommen sind. (Quelle: Vice)
Doch die AWU ist gekommen, um zu bleiben. Sollten die Tech-Konzerne sich dennoch sperren, dürfte es auch künftig ein wenig konspirativ bleiben rund um Proteste und Aktivismus im Silicon Valley und den großen IT-Unternehmen. Doch der Grundstein für mehr Mitbestimmung ist gelegt. Mitbestimmung, die nicht nur die Beschäftigten bei Alphabet angeht, sondern sich im globalen Konzern auf die ganze Welt auswirken kann und nicht weniger zum Ziel hat als Moral. Don’t be evil.