Brennpunkt Arbeitszeit

Wie schön wäre es, wenn wir unsere Arbeitszeit selbstbestimmter einteilen könnten, uns flexibel Zeit für Familie, Reisen, Weiterbildung, für Hobbies oder ein Sabbatical nehmen könnten? Flexibilität wird für immer mehr Beschäftigte möglich und interessant. Und sie zu leben wird zunehmend möglicher, aber nicht zunehmend einfacher.

Arbeitszeitflexibilität, Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit, Schichtmodell, Aufzeichnungspflicht, Kurzarbeit, Mehrarbeit, Überstunden, Sorgearbeit, Lebensarbeitszeit – das Thema Arbeitszeit ist so komplex wie die Arbeitswelt selbst. Es geht jede*n von uns an, denn mit dem Arbeitsvertrag stellen wir als Arbeitnehmer*innen unserem Arbeitgeber einen Teil unserer Lebenszeit zur Verfügung. Von der Arbeitszeit (von ihrer Dauer und ihrer Lage bzw. Gestaltung) hängt unsere Balance von Arbeits- und Privatleben ab. Arbeitszeit ist also ein wertvolles und schützenswertes Gut.

Arbeitswelt verändert sich, für jede und jeden – Chancen und Risiken

Mit der Globalisierung und Digitalisierung verändern sich die Arbeitswelt und die Arbeitsbedingungen rasant und tiefgreifend, und das nicht erst seit Corona. Allerdings hat Corona die Möglichkeit,  orts- und zeitflexibel zu arbeiten verstärkt: Mit der umfassenden Nutzung von Homeoffice und mobilem Arbeiten betreffen Themen wie Arbeitszeitflexibilisierung und Arbeitszeitsouveränität plötzlich viel mehr Arbeitnehmer*innen als noch vor zwei-drei Jahren, als Arbeiten von zu Hause aus längst nicht in allen Bereichen denkbar war, in denen das möglich gewesen wäre.

Die IG BCE begreift arbeitsmarktpolitische und gesellschaftlichen Veränderungen als Chance für neue, zukunftsweisende Regelungen hinsichtlich (Lebens-) Arbeitszeit. Den Beschäftigten soll mehr Zeitflexibilität und selbstbestimmter Zeiteinteilung ermöglicht werden. Seit jeher gestalten wir durch unsere Tarifverträge (Lebens-)Arbeitszeit, also sowohl verteilt je nach dem Arbeitsaufkommen, als auch nach den Lebensphasen. Zusammen mit betrieblichen Interessenvertretungen stehen wir für flexible und kluge Arbeitszeitpolitik und innovative Arbeitszeitmodelle. Denn so ist Arbeitszeitflexibilität auch zum Vorteil der Beschäftigten sin und ermöglicht bessere Arbeitsbedingungen.

Gewerkschaften und Betriebsräte müssen oft lange und zähe Verhandlungen mit Arbeitgebern führen, um den Beschäftigten freiere Zeiteinteilung zu ermöglichen. Tarifliche und betriebliche Regelungen sind dabei unabdingbar: Denn sie verankern die Interessen und Bedürfnisse der Beschäftigten. Sie schaffen ein Fundament dafür, mehr Einfluss auf die eigene Arbeitszeitgestaltung auszuüben, im Spagat zwischenmehr Eigenverantwortung und Loyalität zum Unternehmen.

Gleichzeitig tragen Regelungen auch den Risiken Rechnung, die neue Arbeitszeitinstrumente mit sich bringen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Die Kehrseite der Flexibilisierungs-Medaille sind längere und entgrenzte Arbeitszeiten. Man will schließlich sich selbst und allen anderen zeigen, dass man seine Flexibilitätsmöglichkeiten nicht ausnutzt. Und dazu kommt noch: Konkurrenzdruck und Ertragsorientierung bringen oft Arbeitsverdichtung und steigende Arbeitsintensität mit sich. Wer kennt das nicht? Überstunden werden gemacht, Pausen werden hin und wieder vergessen, die Arbeit wird immer häufiger ins Privatleben getragen. In Unternehmen mit globalen Strukturen sind Telefonkonferenzen in den Abendstunden keine Seltenheit, die ständige Erreichbarkeit verführt zu unablässigem E-Mail-Check oder Telefonaten auch am Wochenende. Durch Homeoffice und Digitalisierung nehmen diese Effekte noch zu.

Kein Wunder also, dass die gewonnene Arbeitszeitautonomie von einigen Beschäftigten zunehmend als Belastung empfunden wird und die Zahl der psychisch bedingten Erkrankungen steigt. Deshalb geht es bei der Ausgestaltung von Arbeitszeitvereinbarungen auf tariflicher und betrieblicher Ebene immer auch um zentrale Fragestellungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

Unsere Must-Haves der flexiblen Arbeitszeitpolitik

Die IG BCE möchte zusammen mit den IG BCE-Betriebsräten eine selbstbestimmte, geschlechtergerechte und nachhaltige Arbeitszeitpolitik umsetzen. Als wichtige Eckpunkte dabei erachten wir:

  • Geleistete Arbeitszeit muss systematisch erfasst werden. Egal, wann und wo sie geleistet wird. Dazu gehört auch die Arbeit mit mobilen Arbeitsmitteln wie Smartphones und Laptops. Das hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 14. Mai 2019 klargestellt.
  • Geleistete Überstunden dürfen nicht verfallen. Sie müssen zeitnah durch Freizeit ausgeglichen werden. Ampelarbeitszeitkonten können hierfür eine sinnvolle Variante sein.
  • Es sind Lösungen gefordert, die den unterschiedlichen Anforderungen nach Arbeitsumfeld, Arbeitsaufgabe, Lebensphase und Lebenssituation der Arbeitnehmer gerecht werden.

Bei der Gestaltung entsprechender Maßnahmen kommt es darauf an, die Anforderungen der Beschäftigten einzubeziehen und gleichzeitig einen Rahmen zu schaffen, der sie vor Überlastung schützt.

Nur mit euch können AZ-Regelungen nach euren Bedürfnissen gestaltet werden

Die Basis dafür sollte die Beteiligung der Beschäftigten als „Experten in eigener Sache“ sein. Schließlich kennen sie die Verhältnisse vor Ort am besten. Sie wissen, welche Punkte in ihrem Betrieb noch geregelt werden müssen und wo es Änderungsbedarf gibt.

Eckdaten zur Arbeitszeit

Für alle tariflichen und betrieblichen, aber natürlich auch individuellen arbeitsvertraglichen Regelungen gilt: Die Leitplanken setzt das deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG).

Das ArbZG schreibt Mindeststandards vor, um Arbeitnehmer vor den gesundheitlichen Auswirkungen überlanger Arbeitszeiten zu schützen. Es definiert unter anderem,

  • was als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG zu verstehen ist,
  • wie lange ein Arbeitnehmer maximal arbeiten darf,
  • welche Pausen- und Mindestruhezeiten einzuhalten sind und
  • unter welchen Umständen an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden darf.

Im ArbZG ist auch beschrieben, wo Arbeitgeber von den Bestimmungen abweichen dürfen und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Es erklärt die Sachverhalte „Überstunden“ und „Mehrarbeit“ – Mehrarbeitszuschläge werden hingegen tarifvertraglich geregelt.

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) wiederum bestimmt, in welchen Situationen Betriebsräte ein echtes Mitbestimmungsrecht haben. Echte Mitbestimmung bedeutet, dass der Arbeitgeber Entscheidungen nur unter Einbeziehung des Betriebsrates treffen kann; beide Parteien müssen gemeinsam nach einer Lösung suchen. Im Hinblick auf Arbeitszeit betrifft das zum Beispiel Beginn und Ende der Arbeitszeit, die Einführung von Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit oder die Anordnung von Mehrarbeit.

Dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr Zeit für sich tragen auch die IG BCE-Tarifverträge Rechnung. Alleine die 37,5- bis 40-Stundenwoche und zehn Tage mehr Urlaub (im Vergleich zum gesetzlichen Anspruch) ermöglichen sowohl für Tarifbeschäftigte als auch indirekt für AT eine freiere Zeiteinteilung. Je nach persönlichen Bedürfnissen und Lebensphasen kommen weitere Möglichkeiten hinzu: tarifliche Freistellungstage, Altersfreizeit und Altersteilzeit, „reduzierte Vollzeit 80“ und nicht zuletzt Zukunftsbeträge mit fünf zusätzlichen freien Tagen in der Chemie, demnächst auch in der Kautschukbranche. Auch über zahlreiche Haustarifverträge u.a. bei Unternehmen wie Wingas-Astora, LEAG und Uniper können IG BCE-Mitglieder zwei bis drei Freistellungstage zusätzlich in Anspruch nehmen.

Weitere Informationen und häufig gestellte Fragen zum Thema „Arbeitszeit“ hat der DGB Rechtsschutz in einem Beitrag zusammengestellt, den du hier findest.

In seinem Quiz rund um das Thema Arbeitszeit hat der DGB Rechtsschutz interessante Fragen zusammengestellt. Teste dein Wissen über Bereitschafts- und Pausenzeiten, zu gesetzlichen Regelungen und vielem mehr.

Allgemeine Informationen zu arbeitsrechtlichen Fragen während der Corona-Pandemie findest du auf der IG BCE-Seite.